Bolivien

Die Grenze zu Bolivien verläuft über einen Pass, es steht nur ein Mann am Strassenrand und verlangt eine private Mautgebühr. Erstens wir haben keine Bolivianos mit uns, zweitens, wir wollen keine illegalen Aktivitäten unterstützen. Als dort bereits ein anderes Auto steht und der Fahrer mit dem Mann am Reden ist, nutzen wir die Gunst der Stunde und fahren zügig über die Absperrkette drüber. Im Rückspiegel sehen wir noch den Protest des Mannes, schliesslich hätte er von Ausländern das Vielfache verlangen können. Im nächsten Ort lassen wir unseren Pass stempeln und erledigen die Einfuhrdokumente für den Camper. Leider gibt es hier keinen Geldautomaten, keine Wechselstube, keine Tankstelle, keine SIM-Karten und keine Versicherung. Gibt’s alles erst im 200km entfernten La Paz. Der Zöllner ist aber so freundlich und wechselt uns etwas Bargeld, das sollte wenigstens für die die Maut bis zur Hauptstadt reichen. Einige Stunden später erreichen wir El Alto, eine Nachbarstadt von La Paz und auf über 4000m gelegen. Leider auch hier keine Geldautomaten. Wir sind also gezwungen, ins Zentrum von La Paz zu fahren. Das wiederrum ist proppenvoll, der Verkehr ist überlastet, nirgendwo darf man halten, in die Tiefgaragen kommen wir auf Grund unserer Höhe nicht rein. Auf fast 4000 Höhenmetern fällt es unserem Camper schwer, am Hang anzufahren und auch die Bremsleistung lässt rapide nach. Unsere Geduld ist am Ende, wir sind kurz davor die Stadt wieder zu verlassen. Wir parken einfach am Strassenrand trotz Verbot und Anton rennt zum nächsten Geldautomaten. Vor ihm sind aber zuerst noch 10 andere Leute dran. Nach 20 Minuten bekommen wir endlich etwas Bargeld und kaufen uns davon eine SIM-Karte. Da es bereits am dämmern ist, entscheiden wir uns in einem Hotel zu bleiben für die nächsten drei Tage. Ein Hotel mit gesichertem Parkplatz und ohne Höhenbegrenzung ist auch nie einfach zu finden. Puuhh…anstrengender Tag!

Der nächste Tag sieht wiederum ganz anders aus. Wir fahren mit einem Uber in die Innenstadt, organisieren uns eine Versicherung für die restlichen Länder, die wir noch bereisen und suchen die nächste Teleferico-Station auf. Da La Paz in einem Tal erbaut wurde und viele Menschen von El Alto in die Innenstadt pendeln müssen, hat sich die Stadt für ein Netzwerk aus Gondelbahnen als öffentliches Transportmittel entschieden. Erbaut von einer Schweizer Firma befördert das 30km lange Gondelnetz täglich um die 300.000 Personen. Es ist modern, sauber und günstig. Wir setzen uns in eine Gondel und fahren hoch zu El Alto. Wir sind fasziniert – von hier oben hat man die beste Übersicht über das Tal, man schwebt hoch über den Häusern und dem Netz aus Strassen, wie eine kleine Lego Welt komplett aus roten Steinchen erscheint uns die Stadt. Manche haben ihre Häuser direkt am Hang gebaut, der unter dem improvisierten Fundament weiter abbröckelt. Lange werden ihre Hütten da wohl nicht mehr stehen. Am Nachmittag begeben wir uns auf den bekannten Hexenmarkt der Stadt. Neben hunderten Kräutermischungen, chinesischen Potenzmitteln und steinernen Statuen, bekommt man hier auch getrocknete Lamaföten, die am Hals von der Decke hängen. Nicht sehr appetitlich dieser Anblick, aber irgendeinen Nutzen wird das schon haben – wenn man dran glaubt. Am nächsten Tag kümmern wir uns um das Auto. Zuerst einmal eine gründliche Wäsche, danach einen Ölwechsel. Man sollte hier aber den Mechanikern genau zusehen, welches Öl verwendet wird. Gerne wird mal bei einer Routineaufgabe das falsche Öl verwendet. Auch bei einer eigentlich einfachen Aufgabe, wie Dieselfilter wechseln, kann es auch mal vorkommen, dass der Wagen danach nicht mehr anspringen mag. Die drei Mechaniker rennen um das Auto herum und suchen auch beim Luftfilter nach dem Problem. Anton eilt zu Hilfe, identifiziert das Problem schnell, richtet es und startet den Motor – läuft! Da haben die Drei etwas gelernt! Um das Problem mit den Bremsen sollte sich aber ein Toyota-Spezialist kümmern. Die Stundensätze hier sind zwar viel niedriger als in Deutschland, jedoch dauert ein Bremsflüssigkeits- und Bremsbelagswechsel (vorne) einfach über 6 Stunden. Sprich am Ende kostet diese Arbeit fast genauso viel wie daheim. Die Bremsleistung bleibt aber nach wie vor schlecht, es liege wahrscheinlich an der Höhe. Die Vakuumpumpe und der Bremskraftverstärker seien nicht ausgelegt für diese Höhen. Ok, dann müssen wir eben noch mehr Abstand halten.

Bevor wir die Stadt verlassen, müssen wir aber erstmal volltanken. Neben Bargeld zu beschaffen ist das wohl die grösste Hürde für uns in Bolivien. Es dürfen nämlich keine Ausländer betankt werden! Nur wenige, vom Staat kontrollierte Tankstellen dürfen das offiziell machen – der Preis ist natürlich dreimal so hoch als für Bolivianer. Nachdem wir nach drei Fehlschlägen endlich eine offizielle Tankstelle gefunden haben, will uns der Tankwart nicht mit Kredit-Karte bezahlen lassen, sondern nur bar und ohne Quittung. Also wird der Preis pro Liter erstmal verhandelt, dafür betankt er uns zu einem günstigeren Preis, er behält aber die Differenz zum lokalen Preis ein. 25 Franken für einmal Tanken, das lohnt sich für ihn! Staatliches Sicherheitspersonal ist anwesend, deswegen wird immer sehr leise gesprochen. Endlich sind wir raus aus dieser Stadt, wir fahren Richtung Süden entlang des Altiplanos. Die Landschaft ist schön und die Strassen erstaunlich gut, wir kommen schnell voran. Am nächsten Tag kommen wir in der Stadt Uyuni an – die Stadt selbst ist wieder mal recht hässlich. Wir tanken hier Frischwasser und entsorgen unseren Müll. Am Stadtrand befindet sich das Cementerio de Trenes, der grösste Eisenbahnfriedhof der Welt. Vor 150 Jahren haben diese Maschinen noch tonnen von Salz und Metalle mittels Wasserdampfs bewegt, heute fristen die Loks ihr jähes Dasein und rosten vor sich hin nachdem in den 1940er die örtliche Industrie zusammenbrach. Eindrücklich diese grossen Locks zu sehen, die Brennräume in den Kesseln teilweise noch intakt. Einige Teile wurden von den Anwohnern herausgeschnitten und anderweitig verwendet, sodass der Bestand langsam aber sicher schwindet. Wir geniessen die Überreste und klettern auf den Loks rum, machen schöne Erinnerungsfotos.

Uyuni ist neben dem Eisenbahnfriedhof aber noch für etwas anderes bekannt: der weltgrössten Salzwüste der Welt, genannt Salar de Uyuni. Den Spass lassen wir uns natürlich nicht entgehen, fahren die Zufahrt entlang und dann…versinken wir erstmal im Schlamm mit den vorderen Rädern. Kein Wunder sind alle anderen bereits davor nach rechts oder links abgebogen. Aber zum Glück holt uns unser Allrad und das Untersetzungsgetriebe wieder raus, jetzt geht’s aber los – wirklich! Entlang der Spuren fahren wir auf der weissen, glitzernden Salzpfanne, keine Schilder, keine Markierungen, keine Geschwindigkeitsbegrenzung. Man navigiert hier wie auf hoher See, anhand von GPS, die Orientierung verliert man hier draussen sowieso sehr schnell. Es ist alles weiss, das Licht blendet, der Kontrast fehlt, die Sinne spielen verrückt. Wie in einem Science-Fiction-Film. Nur anhand des Horizonts, wo sich weiss und blau treffen, weiss man, dass man nicht im Nirvana schwebt. In der Ferne erkennen wir plötzlich einige Autos und steuern drauf zu. Es ist das Denkmal für die Rallye Dakar, die hier vor einigen Jahren stattgefunden hat. Flaggen unzähliger Länder wehen uns entgegen, aber auch «Fuck Trudeau»…immer diese politischen Statements überall. Wir navigieren weiter, wir haben uns eine kleine Insel ausgesucht als Schlafplatz. Die Fahrbahn ist gut, wir schaffen sogar mehr als 120km/h (was aber nicht ratsam ist) und erreichen nach 45 Minuten unseren Schlafplatz. Weg vom Salz und geschützt vom Wind der perfekte Ort. Sogar etwas Internet kommt durch. Schon seltsam, so weit weg vom «Festland» auf einer kleinen Insel mitten in einem Salzsee mit dem eigenen Camper zu sein. Am nächsten Tag machen wir Videoaufnahmen und besuchen noch andere Inseln – sogar Chinchillas finden wir auf einer Insel! Lilya geht auf die jagt und kommt erst Stunden später zurück. Am dritten Tag «auf hoher See» fahren wir zurück ans Festland, unser Camper schreit nach einer gründlichen Wäsche. Wie auch bereits in La Paz wird der Unterboden unseres Campers reichlich mit Öl eingesprüht. Das hilft gegen die salzige Witterung hier, Umwelt ist dabei egal. Wir verlassen die Salzpfanne mit grinsenden Gesichtern.

Bevor wir Bolivien verlassen, möchten wir aber noch den Nationalpark Eduardo Abaroa über die Lagunenroute besuchen. Weil wir dafür mehrere Tage keine Ortschaft mehr sehen werden, müssen wir unseren Tank möglichst voll machen. Im letzten Örtchen gibt es leider keine Tankstelle, wie Google Maps behauptet, stattdessen nur brauen Lehmhütten. Wir werden an eine grüne Tür zwei Strassen weiter unten geschickt. Wir klopfen, jemand antwortet. Eine Minute später steht ein alter kleiner Mann vor uns und freut sich über Kundschaft. Er hat tatsächlich Diesel! Wir folgen ihm in den Schopf und finden einen offenen Eimer mit petrolfarbener Flüssigkeit. Riecht wie Diesel, 20 Liter davon werden schon in Ordnung sein. Der alte Mann stellt ein Ölfass an unser Auto und Anton hievt den Eimer mit Diesel drauf. Ein kräftiger Zug am Schlauch und schon wird getankt! Fast voll, das sollte reichen für die nächsten 300km derbster Wellblechpiste, steilen Anstiegen und etwas für die Standheizung für die nächsten Tage. Für 150km kommt gar nichts ausser Wüste und eine Lithium-Mine. Wir steigen währenddessen von 3500m auf 4500m. Nach einigen Stunden schaffen wir es endlich zum Eingang des Parks. Umgerechnet 20 Franken pro Person, also wiedermal ein Vielfaches vom lokalen Preis zahlen Ausländer. Informationen auf Englisch gibt es selbstverständlich nicht, keine Beschilderung der Strassen, und nur eine einzige kostenpflichtige(!) Toilette im gesamten Park. Die Strassen sind stellenweise in einem so schlechten Zustand, dass die Autos einfach kreuz und quer fahren und neue Spuren bilden. Selbst eine Gasförderanlage finden wir im National Park. Naturschutz steht wohl auch hier nicht im Vordergrund. Wir erreichen endlich die Laguna Colorada, dem weltbekannten rot gefärbten See hoch oben in den Anden auf fast 4300m, wo sich pinke Flamingos zu Hauf tummeln. Es ist verdammt kalt und der Wind nimmt einem die Luft aus den Lungen. Lilya ist fasziniert und schiesst ein Foto nach dem anderen, während Anton sich den Hintern abfriert. Auch andere Vögeln und Enten gesellen sich dazu. Unglaublich, wie sie in dieser harschen Natur überleben können. Es bricht die Dämmerung an, wir suchen Schutz in einer kleinen Schlucht. Mit unserem höhergelegten Toyota Hilux kommen wir zum Glück über jeden Stein. Wir werden von einem Viscacha, also einem Chinchilla begrüsst. Lilya geht wieder auf die Foto-Jagd. Die Nacht ist sehr kalt, unsere Kältebrücken in der Kabine sind am nächsten Morgen mit einer Schicht Eis überzogen. Aber dank unserer Standheizung verbringen wir eine kuschelige und angenehme Nacht. Am nächsten Tag fahren wir zu den Geysiren «Sol de Manana», wo sprudelnder Schlamm und dampfende Wolken aus der Erde spucken. Es riecht nach faulen Eiern, Schwefel. Eine Absperrung oder ein Warnschild gibt es nicht. Ob die Gase giftig sind? Weiss keiner so genau. Wir machen es den anderen Touristen nach und laufen entlang der Stege, zwischen brodelnden Becken und stinkenden Dampfwolken. Es wirkt so als wären wir auf einem völlig anderen Planeten. Um unsere durch den Wind gekühlten Körper wieder etwas aufzuwärmen, begeben wir uns zu natürlichen Thermalquellen. Da wir noch vor Mittag da aufkreuzen, sind wir fast alleine in den heissen Becken. Ein willkommener Abschied vom Park! Gegen 12 Uhr kommen auch die anderen Touristen hier an, es wird voll und wir verlassen den Ort. Unsere vorderen Stossdämpfer müssen wir aber baldmöglichst beerdigen, sie haben die Rüttelpisten nicht überstanden.

Bolivien hat es uns nicht leicht gemacht, um ehrlich zu sein, bedingt durch die Bargeldsituation und das Tanken als Ausländer. Aber die einzigartige Landschaft des Landes hat es zu eines der aussergewöhnlichsten Erlebnissen auf unserer Reise gemacht. Wir freuen uns, dass wir hier so viele Eindrücke sammeln konnten, aber wir freuen uns nun auch das Land verlassen und in ein anderes einreisen zu können.

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